Ich besuche meinen Sohn in Köln: Viel zu selten haben wir Gelegenheit, gemeinsam unserer beider Leidenschaft zu begegnen. Jetzt hatte er einen Musikalienhandel entdeckt, wie er uns angemessen scheint: Mehrstöckig, mit Ausstellungsflächen im satten vierstelligen Quadratmeterbereich und dazu aber so etwas von analog, dass es eine Art hat; oder kurz: heaven on earth. Doch schon nach der ersten Stunde ahnen wir die Katastrophe, die nach der zweiten Stunde auch gnadenlos Gewissheit wird: Wir brauchen nichts.
DIE STADIONBÜHNEN
„Aber schauen Sie nur, geliebtester Sohn, dieses Mikrofonstativ: Von einer Standfestigkeit: Da können die Stadionbühnen beben! Und dieses Design! Dann kann man noch hier, und so könnte man auch … Und all das für nur 299 Ökken! Peanuts, geradezu nachgeworfen, finden Sie nicht?“ – „Oh, verehrtester Vater, wie Recht Sie haben. Aber sagen Sie schnell: Wie viele Stadien stehen auf dem nächsten Tourplan?“ – „Lassen Sie mich grob schätzen, öhm … Nach den neuesten Hochrechnungen: Nicht eines.“ – „Siehst Du, Paps, also laß stehen. Ausserdem hast Du bereits zwei Stative, die Du nach meiner Beobachtung aber auch nie brauchst.“
Dieser Flegel. Vor zehn Jahren hätte ich ihn für so eine Bemerkung zur Adoption frei gegeben. Er hat manchmal etwas, was auch das liebevollste Vaterherz mit Missbilligung schwemmt: Nämlich Recht. In kleineren Theatern singe und spiele ich unverstärkt, und die größeren Häuser sind ausgerüstet für mindestens zwei Bigbands.
„Aber schauen jetzt Sie, Vater: Diese Gitarre! Von exzellenter Lackierung und bestens verleimt, das hält die Stimmung bei jedweder Temperatur. Denken Sie nur an meine nächste Serengeti-Durchquerung. Oder die anstehende Polar-Expedition. Dazu kompakt gebaut und in handlicher Größe: Sollten mich Geparden verfolgen, oder eine Eisbärenfamilie, wird sie nicht stören bei der Flucht!“ – „Wohl gedacht, mein Sohn, sehr vorausschauend und verantwortungsvoll. Sagen Sie, für wann sind Ihre Reisen terminiert?“ – „Lassen Sie mich nachdenken, Vater … Gegebenenfalls in nächster Zeit wohl eher nicht. Und um ehrlich zu sein, eventuell dann auch vielleicht nie.“ – „Siehst Du, mein Lieber, also stell sie zurück.“
PERIPHERIE UND ZENTRUM
Verzweiflung machte sich breit nach der vierten Stunde. Wortlos einigten wir uns auf den letzten Ausweg: Einfach irgendwas Sinnloses kaufen. Wir konnten doch unmöglich mit leeren Händen gehen! Und brauchte nicht auch das Konto dringendstens Entlastung? War es nicht so prall, dass bald noch ein weiteres eröffnet werden müsste? Und ist der Bankberater nicht schon in heller Aufregung, weil demnächst ein Din-A1-Drucker anzuschaffen wäre für die Auszüge? Nein, das Gegenteil ist wohl der Fall: Mein Konto muss bald auf die Couch, weil es am Sinn seines Daseins zweifelt, mein Schliessfach lässt sich nicht mehr öffnen wegen des Unterdrucks, und der Berater ist sauer, weil immer die rote Tintenpatrone leer wird, wenn ich die Auszüge hole.
Auch übertrieben. Just wurde mal gut verdient, ein Budget ist also durchaus vorhanden. Allein die Tatsache liess die Vernunft nicht vertreiben: Wir brauchten nichts. Also ganz exakt: Nichts.
Es ist eben so: Du kannst die Häuser leer kaufen oder dir Zeugs bestellen, bis das Internet leer ist. Du kannst die Heimstatt ausequipmentieren, bis kein Platz mehr ist für Frau und Badewanne: Das ist Peripherie. Und im Zentrum stehst immer du alleine mit deinem Instrument. Und du hast immer nur zwei Möglichkeiten dann vom ersten Ton an: Entweder es ist Musik, oder: Unnötig.
JAMMIN´
Wir haben dann noch ein bisschen gejammt später, mein Sohn und ich, von der Terrasse aus ein paar von seinen Zaubersongs der Nachbarschaft gegönnt, während die Tropenhitze des Tages der arktischen Nachtkälte wich und die Gitarren immer noch stimmten. Eine Eisbärenfamilie gesellte sich zu uns, und später ein paar Geparden: Sie stellten die Ohren auf, schnupperten an unseren alten Instrumenten und kuschelten sich dann zu unseren Füssen aneinander. Die Geparden leckten sich die Tatzen, die Bären brummten leise mit. Und dann schliefen sie ein.
Herrlich zu lesen! Das ist Spachrkunst, wie sie mir gefällt! Danke!
Wieder ‚mal herrlich fabuliert, lieber Fab.
Grüße!!