Letztes Jahr habe ich, glaube ich, circa 800 Paderbornern die Vorweihnachtszeit ein bisschen verdorben. Für sie – und alle anderen, denen ich manchmal wohl etwas scharf formuliere – ein nachdenkliches Lied von mir als Vorweihnachtsgruss für dieses Mal.
Author: Fabian Lau
HERRENSALON – Liedgut und besser
Sie präsentieren Lieder aus sieben Jahrtausenden – natürlich nicht alle, aber die besten.
Episch, witzig und wahr. Und alle von ihnen selbst geschrieben. Die Musik handgeblasen, die Texte selbst geschliffen. Herrensalon, das sind Heiner Herchenröder, Peter Müller-Wiener und Fabian Lau. Sie haben schon im Sandkasten zusammen Musik gemacht und sie wollen es in ihren Gräbern auch noch tun. Irgendwann dazwischen sollten Sie das mal gehört und gesehen haben.
Seriös, attraktiv und altersentsprechend ausgeschlafen: HERRENSALON.
Eine interessante Veränderung macht sich bemerkbar, seit ich wieder öfter auf der Bühne stehe: Klingelnde Handys im Publikum – sie stören mich nicht mehr. Ist es diese mühsam antrainierte Grundgelassenheit, oder vielleicht schon der erste Anflug von Altersweisheit? Sie stören mich nicht mehr; nein, im Gegenteil: Es beruhigt mich.
Wenn ich höre, bei dem dicken Mann da in der dritten Reihe ist es soweit, hier hat das Handy endgültig übernommen: Das finde ich gut. Die künstliche Intelligenz hat gesiegt, wahrscheinlich, weil die natürliche Konkurrenz nicht so groß war.
Keine Lust auf Theater
Sicher hatte das Handy heute keine Lust auf Theater. Es wollte lieber mit dem Dicken auf dem Sofa bleiben und den ganzen Abend von ihm gestreichelt werden. Und deshalb macht es jetzt Terror. Und er kriegt es nicht hin, dass es Ruhe gibt; hat wahrscheinlich auch bei den Kindern schon nicht geklappt.
Sicherlich hat der Dicke auch noch so ein Fitnessarmband, das ihm immer sagt, wie er gesünder leben könnte. Das kommuniziert aber nicht mit dem Handy, denn das Handy ist Apple, das Armband Lidl. Und wenn er sich abends aufs Sofa legen will, sagt das Armband: Stop, du hast heute erst 0,7 Kalorien verbraucht, du musst noch 150.000 Kilometer laufen, danach darfst du 20 Gramm Rohkostsalat essen, nur so bleibst du gesund und wirst glücklich. Aber das Handy hat dann immer schon das aktuelle Fernsehprogramm hochgeladen und eine Pizza für Zwei bestellt.
Und dann kommt heute auch noch die Frau dazwischen und frohlockt: Wir gehen heute ins Theater! Fabian Lau! Mit dem neuen Programm: Klasse! Endlich wieder Fabian Lau! Aber das Handy googelt mich schnell und sagt dann: Och, nööö, wer braucht das denn? Mach lieber das Fernsehen an, gleich kommt Bülent Ceylan, der ist viel besser, viel witziger, der macht so eine Frau nach und kiekst dann so mit der Stimme, total lustig und dann macht er sein Haar auf und schüttelt es so, das soll der Fabian Lau ihm erstmal nachmachen.
Dann noch das Armband
Und dann mischt sich das Armband auch noch ein und meint: Komm, raff dich auf, geh mit ins Theater! Das sind fünf Kilometer, da verbrauchst du 1,4 Kalorien. Dann darfst du dir morgen eine ganze Tüte Kartoffelchips anschauen. Und offenbar hat sich das Fitnessarmband dann durchgesetzt. Oder die Frau hat dem Dicken Sex versprochen hinterher, und das Armband hat gesagt: Yessss, noch mal 3,5 Kalorien – vorausgesetzt, du liegst nicht wieder unten.
Also sitzen die drei jetzt hier bei mir im Konzert, die Frau und das arme Ding mit seinem Dicken. Die Frau hat Spaß, aber die anderen beiden können einem ja nur Leid tun. Wie soll man da sauer sein, oder genervt? Leider lassen sich die beiden gar nicht mehr trennen, sonst könnt ich dem Dicken schnell mal flüstern, wo bei dem Ding der Ausschaltknopf ist. Nachher, wenn die Frau ein Autogramm bei mir holt, zum Beispiel.
Die umstrittene Passage: Im sagenhaften Sapperlot ging sie so durch, ungeschnitten, jedoch auch hier nicht ohne Diskussionen, Kontroversen, Daumen runter und Daumen hoch. So muss es sein: Die freie Rede. Wer mitreden will: 25.3. halbNeun-Theater, Darmstadt, Unzensiert. Willkommen.
Wer die Vorgeschichte nicht kennt: Hier die Vorgeschichte
Unknown footage: Eine Jahrzehnte lang verschollen geglaubte Aufnahme von mir, die mir jetzt anonym zugespielt wurde; entstanden, soweit ich mich erinnere, vor ein paar Jahren in der Garderobe von Millers Studio in Zürich. Die Kamera bediente ein Fan, eine junge Französin, die unerklärlicherweise ein meet&greet mit mir gewonnen hatte. Sie saß ungefähr in der Richtung, in die ich immer mal ins Off hinein lächele, um eine lockere Atmosphäre bemüht. Sie sprach nur Französisch; was das Gespräch etwas schleppend gestaltete. Ich spreche kein Französisch. Wir waren beide erleichtert, als ich beim Gitarrestimmen zufällig auf den Cole-Porter-Klassiker stieß. Ihr gefiel offenbar der Akzent, mit dem ich sang. Noch besser gefiel ihr, als ich gar nicht mehr sang. Ich sang dann gar nicht mehr. Sie war aber sicher sehr nett.
Wir haben ein Stückchen Schweiz entdeckt, hier ganz in der Nähe.
Vor Jahren schrieb ich bereits: „Die schweizer Bahnhöfe machen den Eindruck, als wolle der Schweizer den Fremden auf keinen Fall zum Aussteigen reizen. Die Schönheit der Städte erschließt sich nur dem Mutigen, der es trotzdem tut.“ Und mit dem Auto war es mir auch nicht anders ergangen: Ob bei der Einfahrt nach Zürich oder bei Burgdorf, du musst fast immer erst mit sehr starkem Willen und sturem Blick geradeaus durch einen Ring städtebaulicher Anmaßung hindurch, bis sich endlich der schöne Kern einer Ortschaft dort zeigt; eventuell wirklich spekulierte Absicht der Städteplaner.
Du hältst das aus
Und jetzt haben wir ein Stückchen Schweiz entdeckt, ganz in der Nähe, hier an der hessischen Bergstrasse. Du fährst eine Weile durch das schöne Land und biegst dann ab in ein Dörfchen am Hang. Du hältst das aus: Auch hier, die ersten Häuser, das kennst du doch schon von irgendwo her, doch die Augen geradeaus und du hältst das wieder aus und siehe da, schnell ist es geschafft. Es geht bergauf.
Das Wort „Berg“ aus dem Mund des deutschen Flachländers lässt den Schweizer schmunzeln. Aber doch: Die Strasse verläuft steil und am Ende ist man auch ziemlich oben. Und da wird es gediegen und schön. Häuser mit sichtbarer Geschichte an den Fassaden, eine Kirche dazu und dann ist sie da: Diese Mischung aus verhaltener Eleganz und Bodenständigkeit, die mich in fast allen schweizer Orten gleich wohl fühlen liess; kein Protz und kein Schnickschnack.
Eleganz und Bodenständigkeit
Halb im Wald stehst du hier und aus dem Wohnzimmer aber der Blick über die Ebene. Vogelgezwitscher durchs offene Fenster, Kuhglocken dahinter auf der Weide? Ah nein, hier nur ein Bambus-Windspiel vor der Haustüre. Ansonsten Ruhe. Und wie in der Schweiz kannst du hier arbeiten, in dieser Luft, zehn Stunden oder zwölf, ohne müde zu werden. Schon ganz früh kannst du anfangen, abends aber auch gut und bald zur Ruhe kommen. Wenn du Glück hast bei einem guten Glas Wein und im Gespräch mit einer schönen Frau (bei ihr übrigens auch diese Mischung aus verhaltener Eleganz und Bodenständigkeit; dies aber nur einer der Gründe, warum ich sie geheiratet habe).
Hier sind wir hergezogen. Ein bisschen wie in der Schweiz, aber dennoch in Deutschland. Die Familie in der Nähe, die Freunde, die Sprache. Die Geschichte und das Heimatgefühl.
Und das Fernweh.
Zu meinem Geburtstag wünsche ich allen Menschenkindern alles Glück, was immer sie darunter verstehen. Und wenn Euch das gefällt, teilt das, mit allen, die Ihr liebt, die Ihr gerne habt – aber auch mit denen, die Ihr nicht so gerne habt, die Euch gern haben können, die vielleicht verbittert sind, oder verbohrt, und gar nicht wissen, was für sie Glück ist, und das die Antwort eigentlich ganz einfach ist. Love and peace, und Danke für alle guten Wünsche an mich.
Ich habe gerade erfahren, dass heute Häns´che Weiss gestorben ist. Und ich stelle gerade fest, nach ein paar Telefonaten, dass es keinen Musiker gab, der für mich wichtiger war.
MEIN ZIMMERCHEN HINTER DER BÜHNE
Anfang der 80er-Jahre habe ich ihn in München kennengelernt, nicht etwa durch einen feinen Zug des Schicksals, nein, ich hatte es darauf angelegt: Ich wollte mir gerne Mal aus der Nähe betrachten, was genau er da macht auf der Gitarre – vielleicht bestünde die Chance, wenigstens ein bisschen davon zu begreifen. Ich spielte ein paar Tage vor ihm im gleichen Club und bin dann einfach da geblieben, habe tagsüber ein bisschen ausgeholfen, Ordnung gemacht, Gläser gespült und diese Dinge, und dafür durfte ich länger bleiben in meinem kleinen Zimmerchen mit dem knarzenden Bett, gleich hinter der Bühne. Dann: Auftritt des Häns´che Weiss Ensembles. Drei Tage, alle ausverkauft natürlich. Und ich brauchte kein Zimmerchen mehr und kein Bett, denn nach den Konzerten saßen wir bis in den Morgen zusammen. Und ich habe eine ganze Menge begriffen.
JEDESMAL EIN GANZER RAUM
Wir haben uns gar nicht so häufig getroffen seitdem, Köln, Augsburg, Wiesbaden, einmal in Basel. Aber es war jedes Mal das Gleiche: Er zeigte mir ein bisschen – Schau hier, nein, so; hör´ mal genau: Du kannst aber auch so … – immer nur ein bisschen, aber bei mir ging immer ein ganzer Raum auf, den ich Wochen später noch nicht bis zur letzten Ecke erforscht hatte – vielleicht auch bis heute nicht.
Und auch jenseits der Gitarre eröffnete sich mir manches in der Zeit. Häns´che Weiss war ein kluger Kopf, er war ein sehr politischer Mensch, einfach ein ausgesprochen gescheiter Mann. Und wenn meine Fingerchen etwas Pause brauchten, redeten wir: Von der Musik und von den Menschen; über Kulturpolitik, über Clubs, Gagen und Verträge, über die Bühne und das Publikum. Wo man als Künstler steht, darüber haben wir gesprochen, und wofür man stehen sollte: Und ich habe bis heute kein Wort davon vergessen. Alles ist präsent, in dem Moment, jedes Mal, wenn ich auf die Bühne trete, ganz egal, was immer ich da auch vorhabe.
CENTRALSTATION, DARMSTADT, 2008
Drei-, viermal haben wir auch ein Doppelkonzert gespielt seit der Zeit, zuletzt trafen wir uns 2008 in der Centralstation in Darmstadt, wo ich den Abend mit ihm und Titi Winterstein moderierte, mit ihm im Duo eröffnete und mit allen zum Finale jammte. Und ich war genauso aufgeregt wie damals, Anfang der 80er, bei der allerersten Jam. Nur ging es diesmal nicht bis in den Morgen. Und ich hatte auch kein Zimmerchen hinter der Bühne, ich wohnte im Hotel. Und das Bett knarzte auch nicht so furchtbar, wie damals.
Ich konnte trotzdem nicht schlafen.
So sieht es aus, wenn ich mich abends zurückziehe, ein bisschen weg von der Welt, und ein bisschen weg mir.
Ich besuche meinen Sohn in Köln: Viel zu selten haben wir Gelegenheit, gemeinsam unserer beider Leidenschaft zu begegnen. Jetzt hatte er einen Musikalienhandel entdeckt, wie er uns angemessen scheint: Mehrstöckig, mit Ausstellungsflächen im satten vierstelligen Quadratmeterbereich und dazu aber so etwas von analog, dass es eine Art hat; oder kurz: heaven on earth. Doch schon nach der ersten Stunde ahnen wir die Katastrophe, die nach der zweiten Stunde auch gnadenlos Gewissheit wird: Wir brauchen nichts.
DIE STADIONBÜHNEN
„Aber schauen Sie nur, geliebtester Sohn, dieses Mikrofonstativ: Von einer Standfestigkeit: Da können die Stadionbühnen beben! Und dieses Design! Dann kann man noch hier, und so könnte man auch … Und all das für nur 299 Ökken! Peanuts, geradezu nachgeworfen, finden Sie nicht?“ – „Oh, verehrtester Vater, wie Recht Sie haben. Aber sagen Sie schnell: Wie viele Stadien stehen auf dem nächsten Tourplan?“ – „Lassen Sie mich grob schätzen, öhm … Nach den neuesten Hochrechnungen: Nicht eines.“ – „Siehst Du, Paps, also laß stehen. Ausserdem hast Du bereits zwei Stative, die Du nach meiner Beobachtung aber auch nie brauchst.“
Dieser Flegel. Vor zehn Jahren hätte ich ihn für so eine Bemerkung zur Adoption frei gegeben. Er hat manchmal etwas, was auch das liebevollste Vaterherz mit Missbilligung schwemmt: Nämlich Recht. In kleineren Theatern singe und spiele ich unverstärkt, und die größeren Häuser sind ausgerüstet für mindestens zwei Bigbands.
„Aber schauen jetzt Sie, Vater: Diese Gitarre! Von exzellenter Lackierung und bestens verleimt, das hält die Stimmung bei jedweder Temperatur. Denken Sie nur an meine nächste Serengeti-Durchquerung. Oder die anstehende Polar-Expedition. Dazu kompakt gebaut und in handlicher Größe: Sollten mich Geparden verfolgen, oder eine Eisbärenfamilie, wird sie nicht stören bei der Flucht!“ – „Wohl gedacht, mein Sohn, sehr vorausschauend und verantwortungsvoll. Sagen Sie, für wann sind Ihre Reisen terminiert?“ – „Lassen Sie mich nachdenken, Vater … Gegebenenfalls in nächster Zeit wohl eher nicht. Und um ehrlich zu sein, eventuell dann auch vielleicht nie.“ – „Siehst Du, mein Lieber, also stell sie zurück.“
PERIPHERIE UND ZENTRUM
Verzweiflung machte sich breit nach der vierten Stunde. Wortlos einigten wir uns auf den letzten Ausweg: Einfach irgendwas Sinnloses kaufen. Wir konnten doch unmöglich mit leeren Händen gehen! Und brauchte nicht auch das Konto dringendstens Entlastung? War es nicht so prall, dass bald noch ein weiteres eröffnet werden müsste? Und ist der Bankberater nicht schon in heller Aufregung, weil demnächst ein Din-A1-Drucker anzuschaffen wäre für die Auszüge? Nein, das Gegenteil ist wohl der Fall: Mein Konto muss bald auf die Couch, weil es am Sinn seines Daseins zweifelt, mein Schliessfach lässt sich nicht mehr öffnen wegen des Unterdrucks, und der Berater ist sauer, weil immer die rote Tintenpatrone leer wird, wenn ich die Auszüge hole.
Auch übertrieben. Just wurde mal gut verdient, ein Budget ist also durchaus vorhanden. Allein die Tatsache liess die Vernunft nicht vertreiben: Wir brauchten nichts. Also ganz exakt: Nichts.
Es ist eben so: Du kannst die Häuser leer kaufen oder dir Zeugs bestellen, bis das Internet leer ist. Du kannst die Heimstatt ausequipmentieren, bis kein Platz mehr ist für Frau und Badewanne: Das ist Peripherie. Und im Zentrum stehst immer du alleine mit deinem Instrument. Und du hast immer nur zwei Möglichkeiten dann vom ersten Ton an: Entweder es ist Musik, oder: Unnötig.
JAMMIN´
Wir haben dann noch ein bisschen gejammt später, mein Sohn und ich, von der Terrasse aus ein paar von seinen Zaubersongs der Nachbarschaft gegönnt, während die Tropenhitze des Tages der arktischen Nachtkälte wich und die Gitarren immer noch stimmten. Eine Eisbärenfamilie gesellte sich zu uns, und später ein paar Geparden: Sie stellten die Ohren auf, schnupperten an unseren alten Instrumenten und kuschelten sich dann zu unseren Füssen aneinander. Die Geparden leckten sich die Tatzen, die Bären brummten leise mit. Und dann schliefen sie ein.